Kubismus und Futurismus

BILDKUNST KUBISMUS und FUTURISMUS TABLET ART

Inhalt Cover Titel Bildkunst des 20. Jahrhunderts Farbtafeln mit Kurzinterpretationen Sind kubistische Bilder künstlerische Vexierbilder? Das kubistische Bild als malerische Tatsache Vorbereitende Unterscheidungen zum Verständnis kubistischer Malerei Künstlerisch hergestellte gegen natürliche Schönheit Frühkubismus: Bilden und Anführen nachahmungsfreier Grundformen Analytischer Kubismus: Herstellen der Bildautonomie Futuristische Malerei als „transitorische“ Kunst Von der Nachahmung zur Repräsentation von Bewegung Kubismus und Futurismus im Vergleich Anmerkungen zum Einführungstext Nachweis der Zitate im Text zu den Farbtafeln Literaturhinweise Kurzbiografien der vorgestellten Maler Impressum

Bildkunst des 20. Jahrhunderts mit 64 Farbtafeln der Maler Balla Gleizes Marcoussis Boccioni Gontscharowa Metzinger Braque Gris Mondrian Carrà Kupka Picabia Cézanne LaFresnaye Picasso Delaunay Léger Russolo Delaunay- Terk MacDonald-Wright Severini Derain Malewitsch Villon Duchamp Marc

Farbtafeln und Kurzinterpretationen

Eine Bildfolge zu „Kubismus und Futurismus“ mit Farbtafeln nach Gemälden Paul Cézannes zu beginnen, hat mehrere Gründe. Einmal ist Cézanne wohl zu Recht der Vater der modernen Kunst, insbesondere der Malerei, genannt worden, auf den sich die unterschiedlichsten Strömungen und Richtungen berufen. Zum anderen verweisen Künstler und Kritiker gern auf die mittlere bzw. späte Phase des Œuvres, wenn sie seine für das Verständnis des Kubismus oft herangezogene Überlegung zitieren, die er in einem Brief vom 15.4.1904 an den symbolistischen Maler E. Bernard in einem Satz zusammenfasst: „… man behandle die Natur gemäß Zylinder, Kugel und Kegel und bringe das Ganze in die richtige Perspektive, so daß jede Seite eines Objektes, einer Fläche nach einem zentralen Punkt führt“ (Cézanne, Briefe, S. 281). Doch ganz davon abgesehen, dass Cézanne hier nicht dazu aufruft, die Natur als Zylinder, Kugel und Kegel zu malen, und dies im Kubismus so auch kaum irgendwo geschieht, liegen seine „Vorleistungen“ für den Kubismus auf anderem Gebiet.

1 Paul Cézanne Fünf Badende, 1885/1887 Öl/Lwd., 65,5 X 65,5 cm Basel, Kunst museum Leitgedanke der Kunst Cézannes ist; Da es keinem Künstler gelingt, die Natur einfach zu kopieren, indem er sie Punkt für Punkt auf die Leinwand zu übertragen sucht, kann es nur darum gehen, mit Hilfe malerischer Zeichen die Natur zu repräsentieren, sich also um das Erzeugen und die Organisation der malerischen Kunstmittel zu kümmern. So zeigen „Fünf Badende“ ebenso wie

die beiden „La Montagne Sainte-Victoire“-Bilder, dass es das Anliegen des Künstlers ist, farbige Zeichen zu entwickeln und im malerischen Prozess zu verwenden. Cézanne nannte sie „farbige Äquivalente“. Um diese nun im Bild optimal zur Geltung zu bringen, verzichtet der Maler immer konsequenter auf jede feste lineare Konturierung der Bildgegenstände. Die weiblichen Aktfiguren in „Fünf Badende“ z.B. veranschaulichen, wie selbst die Begrenzungen der Figuren durch Farben gegeben sind und deshalb in ihrem Verlauf nur farbig geklärt werden können. In „La Montagne Sainte-Victoire“ von 1904/1906 sehen wir dann diese kontur- und umrissfreie Malerei, die die Gegenstände im Bild, statt sie zu vereinzeln, direkt als farbigen Bildzusammenhang vorführt. Dieser in jeder Hinsicht farbbestimmte Bildaufbau gelingt mit Hilfe von Farbflecken („plans“, „taches“) unterschiedlichster Gestalt und Größe, Die „sensations colorantes“, wie Cézanne sie bezeichnete, setzt er als Gestalt- und Buntwerte zugleich ein, und zwar so, dass diese „Sichtbarkeitswerte“ (A. V. Hildebrand) als Elemente im Bild und für das Bild erzeugt werden. Wie die beiden hier vorgestellten Landschaften Cézannes auf das nachdrücklichste belegen, lässt sich die Farbe als Mittel zur Gestaltung der Gegenstände von ihrer Aufgabe als reines Kunstmittel, die Dichte des Bildes zu gewährleisten, nicht mehr unterscheiden. Diese sich bildintern verwirklichende freie Figuration der Farbe demonstriert geradezu ihre Unabhängigkeit vom gegenständlichen Zusammenhang der sichtbaren Welt. Oder anders gesagt: Das Erzeugen der Farbflecken und das Herstellen eines bildeigenen Zusammenhangs, um die Natur zu repräsentieren statt nur zu kopieren, erfolgt gerade so, dass Bildung, Anordnung und jeweilige Verwendung der Flecken in ein und demselben Bild zugleich erfolgen. J.Gasquet hat drei Gespräche mit Cézanne überliefert, in denen der Maler diese Art der Bildung eines farbigen Zusammenhangs als zentrales Thema seiner Kunst erläutert; „- Nun ja!… (Er wiederholt seine Bewegung, löst seine

Hände, die zehn Finger geöffnet, nähert sie langsam, langsam, faltet sie wieder, drückt sie, verkrampft sie, läßt die eine in die andere sich einbohren.) Hier, das muß man erreichen. Wenn ich zu hoch oder zu tief greife, ist alles verpfuscht. Keine einzige Masche darf zu locker sein, kein Loch, durch das die Erregung, das Licht, die Wahrheit hindurchschlüpfen kann. Ich bearbeite, verstehen Sie. das ganze Bild gleichmäßig, in der Gesamtheit. Ich bringe in dem gleichen Schwung, dem gleichen Glauben alles zusammen, was auseinanderstrebt…“ (Gasquet, S. 9). 2 Paul Cézanne La Montagne Sainte-Victoire, 1898-1900 Öl/Lwd., 60 x 73 cm. Leningrad, Eremitage

3 Paul Cézanne La Montagne Sainte-Victoire, 1904/1906 Öl/Lwd., 60 x 72 cm. Basel, Kunstmuseum Damit erkennt Cézanne die Farbe als alleiniges Grundelement der Bildkunst, mit dem es gelingt, Malerei als allseitigen bildeigenen Zusammenhang herzustellen, ohne noch in irgendeiner Weise ein lineares Gerüst für die Bildorganisation zu Hilfe zu nehmen. Der Künstler versucht nämlich, in der Bildgestaltung das Anführen wie anordnende In-Beziehung-Setzen der Farbflecken und deren je spezifische Verwendung in einer Malhandlung zu leisten, die für jedes zu malende Werk neu entwickelt werden muß, um „Konstruktionen vor der Natur“ (Cézanne) zu verbildlichen. Im Frühkubismus bei Picasso (→ Bild 4 bis → Bild 9) und Braque (→ Bild 10 bis → Bild 16) dagegen handelt es sich um ein Schritt-

für-Schritt-Verfahren, um zunächst einmal die bildeigenen, aus Geometrie und Stereometrie abgeleiteten Formen an der nachahmenden Darstellung zu gewinnen. Damit schaffen sich diese Künstler als erstes ein Repertoire von bildnerischen Basiselementen, die in der frühkubistischen Phase zusammengestellt. dann im analytischen Kubismus für den autonomen Bildaufbau nach bildimmanenten Regeln verwendet werden. Mit oft seherischer Fantasie hat der Malagese Pablo Picasso künstlerisches Handeln umgestaltet unter der schlichten Fragestellung: Wie kann man mit Zeichnung, Grafik, Malerei und Skulptur bildnerisch handeln? Picasso ist es wie keinem anderen gelungen, die Ismen des ersten Jahrhundertdrittels zu durchlaufen, miteinander zu verschränken und trotz allem die eigene „Handschrift“ zu behalten. Die breite Öffentlichkeit benutzt den Namen „Picasso“ häufig als Stempel, der nahezu allem, was in der modernen Kunst gemacht wurde, aufgedrückt werden kann, sei es als Zeichen der Ablehnung, sei es als Zeichen der Zustimmung: „Wie Picasso!“ Beim Klassischen setzt Picasso wie selbstverständlich an und gelangt zur alles in Frage stellenden Freiheit des Dadaismus; er identifiziert sich ganz mit der Erfindung der Strenge des kubistischen Bildaufbaus, um bald schon zur Phantastik surrealer Bildkonzepte zu kommen. Daneben leistet er sich unkontrollierten Automatismus ebenso wie größte Spontaneität beim Improvisieren.

4 Pablo Picasso Die Mädchen von Avignon, 1907 Öl/Lwd., 244 x 233 cm New York, The Museum of Modern Art, Lillie P. Bliss Bequest Wie kaum eine andere Künstlerpersönlichkeit unseres Jahrhunderts fordert Picasso vorbehaltlose Gefolgschaft und radikalen Widerspruch heraus. So ist es nicht verwunderlich, wenn Künstler verschiedenster Herkunft und unterschiedlichster Bild- und Kunstauffassung bereit sind, Picasso zu huldigen, etwa mit der Ausstellung „Hommage à Picasso“ 1973, die zum 90. Geburtstag des Künstlers in mehreren europäischen Städten gezeigt wurde.

Wenn auch Picassos vielseitiges Werk zu Unterteilungen in verschiedene Phasen herausfordert, so können diese lediglich als Anhaltspunkte verstanden werden. Über die erste wichtige Periode seiner künstlerischen Entwicklung hat Picasso selbst gesagt: „Wir waren alle Art-nouveau-Künstler.“ Seine Arbeiten zwischen 1901 und 1904, der sogenannten „Blauen Periode“, sind denn auch in Lineament und Farbigkeit der Stilkunst verpflichtet. Hauptthema ist der von Leid, Hunger, Einsamkeit gezeichnete Mensch, der allerdings so im europäischen Symbolismus und Jugendstil kaum thematisiert wird. Zur oft nachtblauen melancholischen Einfarbigkeit tritt der Ausdruck der schlanken, überlängten Linie, um etwa Auszehrung, Ratlosigkeit der Figuren zu deuten, z.B. in „Bildnis Jaime Sabartés“ (1901), „Die Umarmung“ (1903) oder „Die Bürglerin“ (1904). 1904 übersiedelt Picasso endgültig nach Paris. In dem barackenähnlichen Holzhaus auf dem Montmartre, bekanntgeworden unter dem Namen „Bateau Lavoir“, bezieht er ein Atelier. Es wird zum ständigen Treffpunkt von Schriftstellern und bildenden Künstlern, u.a. G. Apollinaire, M. Jacob, A. Salmon, A. Derain (→ Bild 38), K. van Dongen und J, Gris (→ Bild 17 bis → Bild 22), dann nach 1907 auch G. Braque (→ Bild 10 bis → Bild 16). Zwischen 1904 und 1906 wandelt sich seine Palette zu lichtem Blau, hellem Rosa und rötlichem Ocker. In dieser „Rosa Periode“ malt er hauptsächlich Szenen aus dem Zirkus- und Artistenmilieu, das berühmte Gemälde „Die Gaukler“ („Les Saltimbanques“) von 1905 etwa. 1906/1907 beschäftigt sich Picasso vor allem mit den Werken Cézannes und der Fauves. Die primitive Plastik - Figuren der Bakotas, Pangoreplastiken Gabuns sowie Schnitzwerke der Gurovölker - hat Picasso, Derain und Matisse, aber auch die deutschen Expressionisten ebenso fasziniert wie inspiriert. Aufmerksam machte Picasso auch auf die Kunst der Kykladen. Dieses Interesse von selten der Künstler, die selbst solche

Arbeiten sammelten, steht im engen Zusammenhang mit dem Beginn der Erforschung der Volkskunst kurz nach 1900. Mit harter Konturierung, Betonung des Skulpturalen und Bevorzugung erdiger Farbtöne bereitet Picasso während dieser Zeit, seiner sogenannten „Iberischen“ oder „Negerperiode“, den Kubismus vor. Als Beispiel für diese Entwicklungsstufe in seinem Œuvre sei sein „Selbstbildnis mit Palette“ (1906) genannt. Mit „Die Mädchen von Avignon“ („Les Demoiselles d'Avignon“) von 1907 ist das Startzeichen für den Kubismus gegeben, eine der drei großen, die bildende Kunst erneuernden Bewegungen im ersten Viertel unseres Jahrhunderts. Wie wohl kein anderes hat dieses Gemälde Picassos die kubistische Entwicklung in der Bildkunst beeinflusst, obwohl es erst dreißig Jahre nach seiner Vollendung (in der Mitte des Jahres 1907) zum ersten Mal ausgestellt wurde. Unter Anspielung auf die „Jüngferchen“ eines Hauses in der Avignon-Straße in Barcelona fand ein mit dem Künstler befreundeter Schriftsteller um 1920 den heute geläufigen Titel. Die bildnerische Gestaltung einer Bordellszene, die der Arbeit zugrunde liegt, zeigt noch Picassos Interesse für das Leben am Rande der Gesellschaft, das für seine „Blaue“ und „Rosa Periode“ thematisch bestimmend war. Das bildnerische Verfahren, das das Stadium des Experimentierens nicht verleugnet, bedient sich als Quellen z.B. der Kunst El Grecos mit ihren wenig körperhaften, überlängten Figuren ebenso wie der Skulpturen Gauguins und afrikanischer Bildwerke. Die seit der Renaissance gültige Konvention der Zentralperspektive, bei der vom Auge als Zentrum die Gegenstände der sichtbaren Welt nach scheinbarer Größenabnahme, Verkürzung und Konvergenz der Linien auf die vertikale Bildebene projiziert werden, tritt im Ölbild Picassos ähnlich wie schon bei Cézanne nur noch in Resten auf; in der insgesamt flächenbestimmten Malerei wird gewisse Räumlichkeit hauptsächlich durch Hintereinander und gegenseitiges

Sichüberschneiden der Figuren veranschaulicht. Von links nach rechts sind zunächst drei stehende weibliche Akte zu sehen, der am linken Bildrand im Rechtsprofil mit herabhängendem Arm und vorgestelltem Bein, über dem Kopf eine Hand. Die beiden anderen sind mehr oder weniger in Frontalansicht gegeben, haben einen bzw. beide Oberarme hoch erhoben, wobei die stark angewinkelten Unterarme hinter dem Kopf verschwinden. Mit der, vom Betrachter aus gesehen, rechten Hand hält die mittlere der drei stehenden Figuren ein über den Oberschenkel geworfenes Tuch. Auch der untere Teil des Körpers der Figur in der Bildmitte ist zum größten Teil mit einem hellen Tuch bedeckt. Zum rechten Bildrand hin folgen zwei weitere weibliche Akte, einer sitzend in der unteren Bildecke, der andere darüber im Dreiviertelprofil nach links gedreht, halb verdeckt durch die sitzende Figur. Ganz im Vordergrund schiebt sich von der Mitte des unteren Randes aus ein dreieckiges Flächenstück ins Bild, das als Ablage für ein Arrangement aus Früchten (Melonenscheibe, Traube, Apfel, Birne) gesehen werden kann. Der rostfarbene Bildabschluss links und die blauen Flächenstücke in der rechten Bildhälfte lassen sich am ehesten-will man überhaupt eine Darstellung von gegenständlich Eindeutigem annehmen - als Vorhänge ansprechen.

5 Pablo Picasso Drei Figuren unter einem Baum, 1907 Öl/Lwd., 99 x 99 cm. Privatbesitz

6 Pablo Picasso Artistenfamilie (Harlekinfamilie), 1908 Öl/Lwd., 88 x 98 cm Wuppertal, Von-der-Heydt-Museum Wer diese das Gegenständlich-Motivische des Bildes kennzeichnende Beschreibung nur liest, ohne das Bild selbst vor Augen zu haben, dem wird nicht leicht klarzumachen sein, dass diesem Gemälde Picassos gegenüber neben seinen Schriftstellerfreunden sogar die bildenden Künstler der Avantgarde, z.B. H.Matisse, A. Derain und besonders G. Braque,

ihr Missfallen und Unverständnis bekundeten. Erst mit einer weiterführenden Beschreibung kann aufgezeigt werden, wie stark Bildthema und die zur Darstellung verwendeten bildnerischen Mittel in Bezug auf die traditionelle Norm auseinanderklaffen. Statt eines runden, geschmeidigen und damit die weiblichen Körperformen nachahmenden Konturs wird der Beschauer mit der optischen Tatsache konfrontiert, dass bei großer anatomischer Freiheit in der Grobgliederung der Figuren insbesondere an deren Feingliederung (Gelenkstellen, Brüste, Gesichter) Umrisse von splittriger Kantigkeit hervortreten, die natürlich, rein malerisch gesehen, möglich sind, die gewohnte Darstellung eines weiblichen Aktes aber sprengen und deshalb schockieren. Zu dieser Darstellungsweise gehören in Farbe und Form zerstückelt erscheinende Flächenteile des Hintergrunds und der wohl als unregelmäßig gezackt zu bezeichnende obere wie untere Abschluss des figürlichen Motivs. Statt der erwarteten anatomischen Richtigkeit und Wahrscheinlichkeit werden geometrienahe Formstücke vorgeführt, statt einer expressiven Gestik wird der Versuch gemacht, die menschliche Figur weniger nach mimetischen denn nach bildgemäßen Gesichtspunkten zu ordnen in der Absicht, das Bild so zu organisieren, dass optische Repräsentation im Bild an die Stelle der nachahmenden Abbildung tritt. In den Gesichtern der beiden mittleren Akte, ganz ohne Zweifel en face gegeben, erscheinen die Nasen im Profil. Bei der Verbildlichung der Gesichter beschränkt sich der Künstler auf die zu einem Gesicht gehörenden bezeichnenden Teile, also auf Augen, Nase, Mund und Ohren, womit er die Köpfe in die Nähe primitiver Plastiken rückt. Die als diagonale Richtungswerte eingesetzten farbigen Schraffuren in den Gesichtern der beiden rechten Akte steigern diesen bildnerischen Reduktionsprozess bis ins Maskenhafte. Zugleich aber werden diese Schraffuren anstelle des Hell-Dunkels in der traditionellen Malerei für die Angabe von

Volumina verwendet. Alle bildnerischen Maßnahmen vereinigen sich dort, wo sie gleichermaßen darauf abzielen, die Vergleichbarkeit zwischen sichtbarer Welt und bildlicher Darstellung zu kappen, um den Bildzusammenhang um so mehr als bildeigenes optisches Gefüge hervortreten zu lassen, dem in der außerbildlichen Wirklichkeit so nichts mehr entspricht. Neben die durch und durch farbbestimmte Malerei Cézannes (→ Bild 1 bis → Bild 3) tritt die form-flächen-bestimmte Malerei bei Picasso. Von hier aus arbeitet der Künstler an der Organisation des Bildes durch Flächenformen konsequent weiter, indem er wie in „Drei Figuren unter einem Baum“ und „Artistenfamilie (Harlekinfamilie)“ die Farbigkeit, die in „Die Mädchen von Avignon“ noch an seine „Blaue“ und „Rosa Periode“ erinnert, immer stärker zur Skala vor allem der Braun-Grau-Grün-Töne abschwächt. Zugleich geht er daran, Flächenformen nach ihrer Möglichkeit zu erforschen, als volumenbildende Elemente eingesetzt zu werden. In „Drei Figuren unter einem Baum“ arbeitet Picasso denn auch mit jetzt breit gezogenen farbigen Schraffuren, wie sie uns andeutungsweise in den beiden rechten Figuren in „Die Mädchen von Avignon“ begegnet sind. Die Bildfläche wird durch die verschiedenen Lagen und Richtungen der Farbschraffuren und einen breiten Kontur in Teilbezirke mit dekorativer Wirkung untergliedert, deren Einzelformen einmal Figürlich-Gegenständliches, z.B. Gesichter, und Gegenstandsfreies, z. B. Formen am unteren und oberen Bildrand, darstellen; das Zusammenspiel von verschieden schraffierten Flächenteilen erzeugt gleichzeitig Körperteile der Figuren nachahmende und ebenso freie, nur der Bildorganisation zur Verfügung stehende Volumina.

7 Pablo Picasso Akt im Wald (Große Dryade), 1908 Öl/Lwd., 186 x 107 cm Leningrad, Eremitage

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